Bundesverwaltungsgericht: Eigenanbau von Cannabis ausnahmsweise erlaubt

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einer Einzelfallentscheidung den Eigenanbau von Cannabis erlaubt
Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) hat in einer Ein­zel­fall­ent­schei­dung den Eigen­an­bau von Can­na­bis erlaubt

Ein seit lan­gem viel­dis­ku­tier­tes The­ma ist der Kon­sum von Can­na­bis und eine mög­li­che Lega­li­sie­rung. So gab es im Jahr 2013 eine öffent­lich beach­te­te Peti­ti­on von Straf­rechts­pro­fes­so­ren, die die Frei­ga­be von Can­na­bis und eine libe­ra­le­re Dro­gen­po­li­tik ein­for­der­ten. Auch der Eigen­an­bau von Can­na­bis fin­det gele­gent­lich Ein­gang in die öffent­li­che Debat­te: Man erin­ne­re sich nur an die berühmt gewor­de­ne Pflan­ze hin­ter Cem Özd­emir im Rah­men der „Ice Bucket Chall­enge“ (sie­he unten).

Eigenanbau von Cannabis im medizinischen Kontext

In sei­ner aktu­el­len Ent­schei­dung (BVerwG, Az.: 3 C 10.14, Urteil vom 06. April 2016). Hin­ter­grund war eine Ver­pflich­tungs­kla­ge gegen das Bun­des­amt für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM), das den seit Mai 2000 gestell­ten Antrag des Klä­gers auf Ertei­lung einer Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung zum Anbau von Can­na­bis zur medi­zi­ni­schen Selbst­ver­sor­gung lehn­te mit Bescheid vom 6. Dezem­ber 2007 und Wider­spruchs­be­scheid vom 10. August 2010 ablehnte.

Mit Can­na­bis behan­del­te der Klä­ger sei­ne Erkran­kung mit mul­ti­pler Skle­ro­se seit 1987. Ein Fer­tig­arz­nei­mit­tel ist inso­weit seit 2011 zur Behand­lung der Spas­ti­ken bei mul­ti­pler Skle­ro­se in Deutsch­land zuge­las­sen. Im ent­span­nen­den Effekt liegt auch eine oft dis­ku­tier­te medi­zi­ni­sche Wir­kung des Cannabis.

Kläger bei Krankenkassen erfolglos

Im ent­schie­de­nen Rechts­streit ver­such­te der Klä­ger erfolg­los, eine Über­nah­me der Behand­lung mit Can­na­bis­pro­duk­ten durch sei­ne Gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) zu errei­chen. Die Kran­ken­kas­se habe dies nach­drück­lich abge­lehnt; ein Beschrei­ten des Sozi­al­rechts­we­ges sei dem Klä­ger unter die­sen Umstän­den nicht mög­lich gewe­sen. Zur Über­nah­me von Leis­tun­gen durch die GKV haben wir kürz­lich in ande­rem Zusam­men­hang einen Arti­kel ver­öf­fent­licht. Auch eine Eigen­fi­nan­zie­rung des Hanf­pro­duk­tes aus der Apo­the­ke („Medi­zi­nal­hanf“) sah das BVerwG als unmög­lich da, da es dem Klä­ger hier­zu an finan­zi­el­len Mit­teln gefehlt habe.

Eigenanbau von Cannabis als letzter Ausweg

Die Bun­des­rich­ter sahen daher den Eigen­bau als letz­ten Aus­weg und begrün­de­ten dies – bemer­kens­wer­ter­wei­se – mit dem öffent­li­chen Interesse:

Nach § 3 Abs. 2 des Betäu­bungs­mit­tel­ge­set­zes (BtMG) kann das BfArM eine Erlaub­nis zum Anbau von Can­na­bis nur aus­nahms­wei­se zu wis­sen­schaft­li­chen oder ande­ren im öffent­li­chen Inter­es­se lie­gen­den Zwe­cken ertei­len. Die Behand­lung des schwer kran­ken Klä­gers mit selbst ange­bau­tem Can­na­bis liegt hier aus­nahms­wei­se im öffent­li­chen Inter­es­se, weil nach den bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­ge­richts die Ein­nah­me von Can­na­bis zu einer erheb­li­chen Lin­de­rung sei­ner Beschwer­den führt und ihm gegen­wär­tig kein gleich wirk­sa­mes und für ihn erschwing­li­ches Medi­ka­ment zur Ver­fü­gung steht.

Das Gericht sah fer­ner kei­ne Aus­schluss­grün­de, u.a. weil der Klä­ger lang­jäh­ri­ge Erfah­rung mit dem Eigen­an­bau von Can­na­bis habe, hin­rei­chend für Sicher­heit gesorgt und ein Miss­brauch nicht zu befürch­ten sei.

Rechtsfolge: Ermessensreduzierung auf Null

Das Ermes­sen sah das BVerwG auf Rechts­fol­gen­sei­te als auf Null redu­ziert an. Dadurch habe die Behör­de kei­ne ande­re Wahl, als die bean­trag­te Geneh­mi­gung zu bewil­li­gen. Die feh­len­den Ent­schei­dungs­al­ter­na­ti­ven erge­ben sich dar­aus, dass die staat­li­che Schutz­pflicht aus dem Grund­recht auf Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) beach­tet wer­den müs­se. Um die­ser Pflicht nach­zu­kom­men, war die Geneh­mi­gung im ent­schie­de­nen Fall alternativlos.

Verallgemeinerungsfähigkeit fragwürdig

Wie jede Gerichts­ent­schei­dung ist auch hier zunächst ein Ein­zel­fall ent­schie­den. Der Eigen­an­bau von Can­na­bis ist kei­nes­falls all­ge­mein erlaubt wor­den. Der Fall zeigt nun aber, dass die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung hier eine Mög­lich­keit des lega­len Eigen­an­baus eröff­net hat, wenn eine schwe­re Erkran­kung vor­liegt, der Eigen­an­bau medi­zi­nisch zum Abwen­den des Lei­dens erfor­der­lich ist und kei­ne nor­ma­len Alter­na­ti­ven bestehen. Es dürf­te also nicht gelin­gen, den Eigen­an­bau von Can­na­bis im All­tag auf Grund­la­ge die­ses Urteils für legal zu halten.

Im Ergeb­nis ist es ein höchst inter­es­san­ter Fall, der sich sicher für juris­ti­sche Staats­examens­prü­fun­gen her­vor­ra­gend eig­net. Er ist zugleich ein Fall im Span­nungs­feld von Medi­zin­recht und Ver­wal­tungs­recht. Unse­re Kanz­lei hat Exper­ti­se in bei­den Rechts­ge­bie­ten.

Als inter­es­sant – und viel­leicht auch etwas kri­tisch – kann hier aus juris­ti­scher Sicht gese­hen wer­den, dass das Kla­gen des hie­si­gen Klä­gers gegen die Kran­ken­kas­sen als Alter­na­ti­ve als unzu­mut­bar betrach­tet wur­de. Ist die Ver­sor­gung mit einem Arz­nei­mit­teln aus Can­na­bis medi­zi­nisch (und grund­recht­lich!) gebo­ten, kann – so auch der Niko­laus-Beschluss des BVerfG – auch eine Kla­ge gegen die Kran­ken­kas­se erfolg­reich sein, die Leis­tung zu gewäh­ren. Es mutet durch­aus etwas befremd­lich an, dass der Klä­ger hier die Ver­sor­gung mit phar­ma­zeu­tisch wirk­sa­men Stof­fen selbst in die Hand neh­men muss­te. Dies gilt gera­de vor dem Hin­ter­grund, dass die Ermes­sen­re­du­zie­rung auf Null gera­de das Feh­len einer recht­mä­ßi­gen Ent­schei­dungs­al­ter­na­ti­ve vor­aus­setzt; im Nor­mal­fall liegt die­se Alter­na­ti­ve im Ver­wei­sen auf den übli­chen Ver­sor­gungs­weg mit Arz­nei­mit­teln. Im kon­kre­ten Rechts­streit mit dem BfArM mag dies nicht mehr zumut­bar gewe­sen sein. Der übli­che Weg dürf­te jedoch noch immer vor­ran­gig sein, näm­lich die Behand­lung mit Medi­zi­nal­hanf über das Sach­leis­tungs­prin­zip der Kran­ken­kas­sen zu realisieren.

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