LSG NRW bekräftigt Rechtsprechung zur Forderungsindividualisierung

Mit Beschluss vom 12.09.2024 (L 11 KR 912/21 KH) hat das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len erneut die Anfor­de­run­gen an die For­de­rungs­in­di­vi­dua­li­sie­rung in Auf­rech­nungs­la­gen prä­zi­siert. Damit bestä­tigt das Gericht nicht nur sei­ne eige­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung, son­dern auch die Linie des LSG Hes­sen und ande­rer Gerich­te. Für Kran­ken­kas­sen bie­tet die­se Ent­wick­lung eine wert­vol­le Stüt­ze im Umgang mit Pas­siv­kla­gen durch Kran­ken­häu­ser – ins­be­son­de­re in Fäl­len feh­ler­haf­ter Kla­ge­er­he­bung. Das Urteil mahnt zugleich, auch auf Beklag­ten­sei­te die Ver­fah­ren streng auf for­mel­le Aspek­te zu prüfen.

Forderungsindividualisierung: Inhalt der Klageschrift nach objektivem Empfängerhorizont maßgeblich

Fehlerhafte Forderungsindividualisierung im Abrechnungsstreit: Wegen drohender Verjährung ist die Zeit für die Klageänderung knapp.
Liegt eine feh­ler­haf­te For­de­rungs­in­di­vi­dua­li­sie­rung vor, tickt für die not­wen­di­ge Kla­ge­än­de­rung die Uhr.

Der Beschluss steht in einer Linie mit Ent­schei­dun­gen der Lan­des­so­zi­al­ge­rich­te und auch zahl­rei­cher Sozi­al­ge­rich­te. Er bekräf­tigt zunächst, dass es auf das objek­ti­ve Ver­ständ­nis der Kla­ge­schrift ankommt. Geht aus die­ser her­vor, dass gera­de nicht die For­de­rungs­til­gung im Rah­men einer Auf­rech­nung bestrit­ten wird, son­dern die „Aus­gangs­for­de­rung“ ein­ge­klagt wird, fin­det eine Indi­vi­dua­li­sie­rung auf eben die­se For­de­rung statt. Uner­heb­lich ist es, so das LSG, wenn dies erst im Lau­fe des Rechts­streits bemerkt wird. Der Senat betont zudem noch ein­mal, dass die Zah­lung der Kran­ken­kas­se auf die­se „Aus­gangs­for­de­rung“ ihre end­gül­ti­ge Erfül­lung nach sich zieht (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. § 362 BGB).

Gera­de in Fäl­len, in denen die Kla­ge­schrif­ten kei­nen Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum eröff­nen, ist daher die Kla­ge­än­de­rung nach § 99 SGG erfor­der­lich, um auf die „rich­ti­ge“ For­de­rung zu individualisieren.

Der Beschluss des Lan­des­so­zi­al­ge­richts ist zu begrü­ßen, denn er unter­streicht aber­mals die pro­zess­recht­lich gebo­te­ne Klar­heit; er ver­hin­dert ins­be­son­de­re, dass die Rege­lung des § 99 SGG unter­lau­fen wird. Gera­de wenn das SGG die Kla­ge­än­de­rung aus­drück­lich vor­sieht, kann es nicht rich­tig sein, eine ein­mal falsch indi­vi­dua­li­sier­te For­de­rung rück­wir­kend „klar­stel­len“ zu kön­nen. Viel­mehr bedarf es einer für die Zukunft wir­ken­de Klageänderung.

Langjährige Vertretung von Krankenkassen im Abrechnungsstreit

Unse­re Kanz­lei ver­tritt seit vie­len Jah­ren Kran­ken­kas­sen in kom­ple­xen Abrech­nungs­strei­tig­kei­ten. Dabei zeig­te sich, dass wir neben inhalt­lich-medi­zi­ni­schen Argu­men­ta­tio­nen auch auf for­mel­ler Ebe­ne zahl­rei­che Ver­fah­ren erfolg­reich abschlie­ßen konn­ten. Beson­ders im Kon­text von Pas­siv­kla­gen, also Kla­gen gegen Kran­ken­kas­sen, waren for­mel­le Feh­ler der kla­gen­den Kran­ken­häu­ser ein wie­der­keh­ren­des Mus­ter – mit teil­wei­se erheb­li­chen finan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen zuguns­ten unse­rer Mandanten.

Passivklagen im Rückblick: sachlich und formell erfolgreich

Wäh­rend wir in zahl­rei­chen Fäl­len die Rich­tig­keit der MD-Begut­ach­tung und damit den eigent­li­chen Streit­ge­gen­stand erfolg­reich ver­tei­di­gen konn­ten, zeig­te sich eine eben­so inter­es­san­te Ent­wick­lung: Ein gewis­ser Teil der Kla­gen schei­ter­te an for­mel­len Vor­aus­set­zun­gen, ins­be­son­de­re an der kor­rek­ten Indi­vi­dua­li­sie­rung der gel­tend gemach­ten Forderungen.

So konn­ten wir For­de­run­gen in Höhe meh­re­rer hun­dert­tau­send Euro erfolg­reich abweh­ren, weil Kran­ken­häu­ser ent­we­der auf bereits erfüll­te For­de­run­gen klag­ten oder die Auf­rech­nungs­la­ge unzu­rei­chend berück­sich­tigt hat­ten. Dies betraf in beson­de­rem Maße die feh­ler­haf­te Indi­vi­dua­li­sie­rung auf die sog. „Aus­gangs­for­de­rung“ – also den ursprüng­lich geprüf­ten Fall –, obwohl eine Auf­rech­nung erfolgt war.

Nach der stän­di­gen Recht­spre­chung des Bun­des­so­zi­al­ge­richts (BSG) ist in Auf­rech­nungs­la­gen auf die unstrei­ti­ge Gegen­for­de­rung zu indi­vi­dua­li­sie­ren. Die ursprüng­lich geprüf­te For­de­rung ist regel­mä­ßig bereits durch Zah­lung erfüllt (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. § 362 BGB). Eine Kla­ge, die den­noch auf die­se For­de­rung Bezug nimmt, geht damit ins Leere.

Fehlerhafte Forderungsindividualisierung: Muster aus der Praxis

Schwer­punkt­mä­ßig sahen wir sol­che Fall­kon­stel­la­tio­nen vor dem Sozi­al­ge­richt Köln und dem Sozi­al­ge­richt Dres­den. In bei­den Gerich­ten zeig­te sich wie­der­holt das Pro­blem, dass Kran­ken­häu­ser die Auf­rech­nung als „Rück­bu­chung“ fehl­in­ter­pre­tier­ten und dar­auf beharr­ten, die ursprüng­li­che Aus­gangs­for­de­rung ein­zu­kla­gen – obwohl die­se durch Erfül­lung bereits erlo­schen war.

Vor dem Sozi­al­ge­richt Mün­chen, dem Sozi­al­ge­richt Itze­hoe und wei­te­ren Gerich­ten war ein ande­res, aber eben­so pro­ble­ma­ti­sches Mus­ter erkenn­bar: Dort wur­de aus­drück­lich die Aus­gangs­for­de­rung ein­ge­klagt, ver­bun­den mit dem Vor­trag, die­se sei nicht oder nur teil­wei­se bezahlt wor­den – zumeist mit dem Zins­an­trag mit Ver­zug ab Fäl­lig­keit der ursprüng­li­chen Kran­ken­haus­rech­nung. In sol­chen Fäl­len gibt es kei­ne Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­räu­me mehr: Maß­geb­lich ist der zwei­glied­ri­ge Streit­ge­gen­stand aus Antrag und Lebens­sach­ver­halt. Ent­schei­dend ist der objek­tiv zum Aus­druck kom­men­de klä­ge­ri­sche Wil­le – die Dis­po­si­ti­ons­ma­xi­me lässt kei­nen Raum für nach­träg­li­che Umdeutungen.

Am Sozi­al­ge­richt Würz­burg wies der Vor­sit­zen­de den Kran­ken­haus­ver­tre­ter dar­auf hin, offen­bar die „Mecha­nik des Abrech­nungs­streits“ nicht ver­stan­den zu haben: ein ein­präg­sa­mes Bild zur Dif­fe­ren­zie­rung von Leis­tungs­an­spruch im Aus­gangs­fall, Erstat­tungs­an­spruch der Kran­ken­kas­se und Leis­tungs­an­spruch aus der Gegen­for­de­rung der Aufrechnung.

Versäumte Klageänderung: Verjährungsfalle für Krankenhäuser

Die betrof­fe­nen Kla­gen schei­ter­ten viel­fach dar­an, dass die eigent­lich not­wen­di­ge Kla­ge­än­de­rung nach § 99 SGG zu spät kam. In vie­len Fäl­len wur­de die Kla­ge kurz vor Ver­jäh­rungs­ein­tritt erho­ben – aller­dings auf eine For­de­rung, die bereits erfüllt war. Eine spä­te­re Kor­rek­tur der Indi­vi­dua­li­sie­rung schei­tert dann regel­mä­ßig dar­an, dass die eigent­lich rich­ti­ge For­de­rung zum Zeit­punkt der Kla­ge­än­de­rung bereits ver­jährt ist. 

Unsere Strategie: juristische Präzision und medizinisches Fachwissen

Unser Erfolg in die­sen Ver­fah­ren beruht auf einer kon­se­quen­ten Ver­bin­dung juris­ti­scher und medi­zi­ni­scher Exper­ti­se. Wir ana­ly­sie­ren jeden Fall inhalt­lich wie for­mell. Dadurch konn­ten wir die vor­ge­la­ger­ten Indi­vi­dua­li­sie­rungs­fra­gen früh­zei­tig iden­ti­fi­zie­ren und die Kla­gen bereits auf die­ser Ebe­ne erfolg­reich abweh­ren. Auch in den Fäl­len einer for­mal kor­rekt erho­be­nen Kla­ge nut­zen wir unse­re ärzt­li­che Per­spek­ti­ve, um best­mög­li­che Ergeb­nis­se im Abrech­nungs­streit zu erzielen.

Fazit: Formelle Fehler der Forderungsindividualisierung als möglicher Hebel im Abrechnungsstreit

Rück­bli­ckend ist es erstaun­lich, wie häu­fig trotz jah­re­lan­ger Recht­spre­chung falsch indi­vi­dua­li­sier­te For­de­run­gen Gegen­stand gericht­li­cher Ver­fah­ren waren. Beson­ders auf­fäl­lig waren Fäl­le, in denen die Kran­ken­häu­ser die Auf­rech­nung selbst bestrit­ten und behaup­te­ten, die ursprüng­li­che For­de­rung sei „zurück­ge­bucht“ wor­den und „lebe wie­der auf“. Sol­che Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en hal­ten einer recht­li­chen Prü­fung nicht stand. Aber auch Fäl­le, in denen eine Nicht­leis­tung behaup­tet wur­de, obwohl tat­säch­lich eine Auf­rech­nung vor­lag, ver­wun­der­ten, da es sich hier­bei sogar um erkenn­bar fal­schen Sach­ver­halts­vor­trag geht.

Inter­es­sant sind inso­weit Son­der­kon­stel­la­tio­nen: Aktu­ell ist in einem Ver­fah­ren strit­tig, ob von einer Auf­rech­nungs­la­ge aus­ge­gan­gen wer­den kann, wenn das Kran­ken­haus selbst die Rech­nung stor­niert und den ursprüng­lich gezahl­ten Betrag selbst wie­der gut­ge­schrie­ben wer­den kann. Da die Auf­rech­nung ein ein­sei­ti­ges Rechts­ge­schäft ist, hal­ten wir es für nicht über­zeu­gend, in die­ser Situa­ti­on eine Auf­rech­nung zu erbli­cken. Eben­so pro­ble­ma­tisch sind Fäl­le, in denen kei­ne aus­drück­lich Fest­le­gung des Sach­ver­hal­tes erfolgt. Gele­gent­lich taucht in text­bau­stein­haf­ten Begrün­dun­gen auf, die For­de­rung sei ent­we­der nicht bezahlt oder auf­ge­recht wor­den. Eine sol­che alter­na­ti­ve Sach­ver­halts­dar­stel­lung (ohne sich fest­zu­le­gen), dürf­te eine unzu­läs­si­ge alter­na­ti­ve Kla­ge­häu­fung darstellen.

Wir gehen ins­ge­samt davon aus, dass das The­ma an Rele­vanz ver­lie­ren wird, da die Kran­ken­kas­sen fast nur noch aktiv kla­gen kön­nen. Gera­de dies ver­an­lasst jedoch zum Rück­blick auf die Erfah­rung in zahl­rei­chen Fäl­len, von denen wir vie­le auf­grund einer feh­ler­haf­ten For­de­rungs­in­di­vi­dua­li­sie­rung gewon­nen haben.

Wir wis­sen, wor­auf es in die­sen Ver­fah­ren ankommt. Unse­re Man­dan­ten pro­fi­tie­ren von tief­ge­hen­der Ana­ly­se, fach­li­cher Klar­heit und tak­ti­scher Sorg­falt. Ger­ne unter­stüt­zen wir Kran­ken­kas­sen bei der gericht­li­chen und außer­ge­richt­li­chen Durch­set­zung ihrer Inter­es­sen im Abrech­nungs­streit. Kon­tak­tie­ren Sie uns – wir hel­fen Ihnen weiter.

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