Behandlungsdokumentation: Die Dokumentationserfordernisse von § 630f BGB im stationären Abrechnungsrecht
Die Behandlungsdokumentation ist regelmäßig ein kontrovers geführter Diskussionspunkt zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern. Während meistens die Fragen rund um das Thema Präklusion (also Verspätung) von Unterlagenanforderung und ‑übersendung im Prüf- und Erörterungsverfahren dominierend erscheinen, wird oft übersehen, dass mittlerweile in der Sozialgerichtsbarkeit ein verstärkter Fokus auf den Dokumentationsumfang bzw. die Dokumentationsdetails in der Entscheidungsfindung zu beobachten ist, die häufig sogar eine Entscheidung im Verfahren ohne Sachverständigengutachten ermöglicht.
Behandlungsdokumentation als Erfordernis des Behandlungsvertrages (§ 630f BGB)

Das Gesetz bestimmt in § 630f BGB ausführlich verbindliche Dokumentationspflichten, die den Behandler:innen aus dem Behandlungsvertrag erwachsen:
„(1) 1Der Behandelnde ist verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. 2Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. 3Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen.
(2) 1Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. 2Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.“
Da die Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V den Behandlungsanspruch der Versicherten umsetzt, die vor der Behandlung den Behandlungsvertrag abschließen müssen, sind die §§ 630a ff. BGB auch für das stationäre Abrechnungsrecht einschlägig.
Anforderungen an die Behandlungsdokumentation in der Rechtsprechung im Abrechnungsrecht
Überraschenderweise finden die gesetzlichen Dokumentationserfordernisse des § 630f BGB jedoch nur selten Erwähnung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zur Krankenhausabrechnung. Krankenhausseitig wird vielfach vertreten, dass die Regelungen zum Behandlungsvertrag (vgl. §§ 630ff. BGB) im stationären Abrechnungsrecht gar nicht erst anwendbar seien, während die Sozialgerichte eine Diskussion hierzu oft zu vermeiden scheinen. Dies ist nicht nur bedauerlich, sondern nach unserer Auffassung unrichtig.
Denn das Bundessozialgericht (BSG) hat prominent in seinem Urteil vom 22.06.2022 (B 1 KR 19/21 R) klargestellt:
„Die Erörterung der Abwägungsgesichtspunkte muss bereits Gegenstand der für die Einwilligung des Versicherten in die Operation notwendigen Aufklärung (§§ 630d, 630e BGB) und Gegenstand der zu führenden Patientenakte (§ 630f BGB) sein. Sie ist im Zweifel vom Krankenhaus zu beweisen. Hiervon hängt auch der Vergütungsanspruch des Krankenhauses ab (vgl näher dazu BSG vom 19.3.2020 – B 1 KR 20/19 R – BSGE 130, 73 = SozR 4–2500 § 12 Nr 18, RdNr 35 ff).“
Das Bundessozialgericht nimmt damit unmittelbar Bezug auf die bürgerlich-rechtlichen Dokumentationsanforderungen. Es stellt diesen Zusammenhang im Kontext mit qualifizierten Aufklärungserfordernissen bei bariatrischen Operationen her. Dies steht m Einklang damit, dass das BSG in derselben Entscheidung betont, dass die Beweislast sowohl für die tatsächlichen Voraussetzungen der Kodierung als auch für die Erforderlichkeit im Sinne des § 39 SGB V im Grundsatz beim Krankenhaus liegt.
Auch die erstinstanzliche Rechtsprechung stellt den Zusammenhang her. So hat auch das Sozialgericht Berlin dieses hat ebenfalls die Relevanz des § 630f BGB erkannt und am 26.02.2025 (S 143 KR 2467/21) zugunsten einer von uns vertretenen Krankenkasse entschieden:
„Das Datum eines Vorgangs gehört zu den grundlegenden Anforderungen an die Dokumentation einer Patientenakte. Diese Anforderung ist auch allen Mitarbeitern bekannt, die mit der Dokumentation einer Patientenakte befasst sind. Sie ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Regelwerk zur Dokumentation einer Behandlung in § 630f BGB. Danach ist der Behandelnde verpflichtet, sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen aufzuzeichnen. „Zum Zweck der Dokumentation“ sind diese Aufzeichnungen „in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang“ in die Patientenakte aufzunehmen (§ 630f Abs. 1 BGB). Dieser zeitliche Zusammenhang kann nur dadurch belegt werden, dass sowohl das Datum des Vorgangs als auch das Datum der Aufzeichnung in der Patientenakte erfasst werden.“
Unmissverständlich zeigen das BSG und das SG Berlin auf, dass ein Krankenhaus, das seinen Vergütungsanspruch begründen möchte, auch in der Lage sein muss, dies anhand der Patientendokumentation eindeutig belegen zu können. Behauptet z.B. ein Krankenhaus, eine Patientin ist einem besonders hohen Komplikationsrisiko ausgesetzt und muss deswegen besonders überwacht werden, was einer früheren Entlassung im Wege steht, so kann dies im Sinne des § 630f BGB eine wesentliche Maßnahme darstellen, die zwingend in der Behandlungsdokumentation dokumentiert werden muss.
Findet sich diese Dokumentation nicht in der Behandlungsdokumentation muss also zwingend die Rechtsfolge von § 630h Abs. 3 BGB eintreten:
„(3) Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f Absatz 1 oder Absatz 2 nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat er die Patientenakte entgegen § 630f Absatz 3 nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.“
Dies gilt im Gerichtsverfahren übrigens auch für den Sachverständigenbeweis: auch ein Sachverständigengutachten kann nicht in „freier Wertung“ den Sachverhalt einfach annehmen oder unterstellen (so überzeugend: LSG Hamburg, Urt. v. 23.9.2021, L 1 KR 17/20, Rn. 37). Es kommt darauf an, den klinischen Verlauf anhand der Dokumentation nachvollziehen zu können, so dass auch ein Gericht im Zweifel die mögliche Wertung eines Sachverständigen anhand der Patientenakte abgleichen können muss (vgl. dazu überzeugend: Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18. Oktober 2018 – L 6 KR 62/13 –, Rn. 28, juris).
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